Im Fokus der Gesundheits- und Ernährungsforschung standen nach der Gründung des KATALYSE Instituts im Jahr 1978 Schadstoffe in Lebensmitteln und in Innenräumen. Die praxisorientierte Forschung zielte in den ersten beiden Jahrzehnten darauf, die Öffentlichkeit über gesundheitsschädliche Wirkungen zu informieren und Handlungsempfehlungen zur Vermeidung von Belastungen zu geben.
Ab Ende der 90er Jahre vollzog das KATALYSE Institut in seiner Forschungsausrichtung einen Perspektivwechsel von der angewandten Umwelt- auf eine transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung (siehe Kapitel Das Institut). Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für ein umwelt- und gesundheitsgerechtes Handelns und Vorsorgeorientierung rückten in den Mittelpunkt. Im Verbundprojekt Ernährungswende wurde an einem Vorsorgekonzept gearbeitet, das ansetzend an den Ernährungsverhältnissen und den Anforderungen aus KonsumentInnenperspektive einen Entwicklungskorridor aufzeigt für eine ‚Ernährungswende‘ hin zu einer Ernährung die umweltverträglich, gesundheitsfördernd sowie alltagsadäquat gestaltet ist und soziokulturelle Vielfalt ermöglicht. Voraussetzung ist eine Ernährungsvorsorge die über ein Schutzkonzept – also die Reduktion möglicher Gesundheitsbelastungen – hinaus geht und sich als Förderkonzept versteht, durch Ernährung gesundheitsförderliche Lebensbedingungen zu schaffen. Dies erfordert neben Kompetenzstärkung und Verantwortungsübernahme in erster Linie zielgruppenspezifische nachhaltige Ernährungsangebote vor allem auch in der Gemeinschaftsverpflegung. Es gilt gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und durch Strukturbildung die Einzelnen dabei zu unterstützen, eine gesundheitsförderliche Ernährung zu realisieren.
Von der Prävention zur Gesundheitsförderung
In der Gesundheits- und Ernährungsforschung verlagerte sich das Forschungsinteresse zunehmend von der Prävention auf die Gesundheitsförderung. Damit wendete sich das KATALYSE Institut einem Paradigma zu, über das in der Public Health-Forschung in den letzten Jahrzehnten grundlegende Debatten und Neuausrichtungen angestoßen hat.
Mit diesem Perspektivenwechsel wurden auch die gesellschaftlichen Bedingungen von Gesundheit neu reflektiert. Als wesentliche Facetten der gesellschaftlichen Verantwortung für Gesundheit rückten die Förderung eines gesundheitsbewussten Verhaltens und eines gesundheitsförderlichen Lebensumfelds in den Mittelpunkt der Forschung. Die Verantwortung für gesundheitsbewusstes Verhalten wird im klassischen Verständnis dem Individuum zugeschrieben, das als ‚mündiger Bürger‘ informierte Entscheidungen treffen soll. Aus Alltagsperspektive betrachtet ist, wie im Verbundprojekt Ernährungswende deutlich wurde, der alleinige Zugang über Information und Aufklärung nicht der Königsweg, um Verhaltensänderungen zu erreichen. Zugänge über Settings wie Kindertagesstätten, Schulen oder Betrieben haben sich als deutlich wirksamer erwiesen. Entsprechend gewinnt die kommunale Ebene als wesentliche Schaltstelle gesellschaftlicher Bemühungen um Gesundheitsförderung zunehmend an Bedeutung. Ein Schwerpunkt der heutigen Arbeit ist die Analyse der aus der Integrationsfunktion der kommunalen Ebene erwachsenden Anforderungen an Organisation und Struktur der kommunalen Verwaltung. Diese werden aktuell im Projekt ‚Gesund Aufwachsen‘ in verschiedenen Modellkommunen untersucht.
Ernährung im Wandel
Gesellschaftliche wie individuelle Bemühungen um gesundheitsförderliche Ernährung werden dadurch erschwert, dass sich die Kontextbedingungen des Essens in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert haben. Standen bis in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts Versorgungsprobleme im Vordergrund, ist die Lage heute durch ein Überangebot gekennzeichnet. Die fast unbegrenzt scheinenden Möglichkeiten zu essen stellen die Gesellschaft und den Einzelnen vor neue Herausforderungen. Zubereitungskompetenzen, Wertschätzung und soziale Routinen des Essens (Rhythmisierung durch feste Essenszeiten und Essen in Gemeinschaft) stehen in Gefahr der allgegenwärtigen Verfügbarkeit des Essens nicht standhalten zu können. Durch die zunehmende Individualisierung des Essens und den Verlust der sozialen und kulturellen Einbettung sind wir dem Überangebot und der unüberschaubaren Auswahl weitgehend schutzlos ausgeliefert. Auf der anderen Seite sind Essen und Gesundheit durch Industrialisierung des Ernährungsmarktes und damit einhergehende wiederkehrende Lebensmittelkrisen sowie durch Globalisierung gefährdet. Die Moralisierung des Essens nimmt als Gegenbewegung zu Überversorgung und Individualisierung sowie zur Bedrohung durch Lebensmittelskandale zu. Auf der Suche nach Halt und Mäßigung bestimmen zunehmend neue Ideologien den Ernährungsdiskurs. Eine weitere Ausdrucksform der Gegenbewegung ist der seit Ende der 1990-Jahre ansteigende Konsum von Nahrungsergänzungsmitteln. Nahrungsergänzungsmittel werden als Medium der Selbstoptimierung zu einem unverzichtbaren Bestandteil der alltäglichen Ernährung.
Unser Forschungsansatz
Wir forschen zu aktuellen gesellschaftlichen Problemlagen im Bereich Ernährung und Gesundheit. Mit einem sozial-ökologischen Ansatz tragen wir der Erkenntnis Rechnung, dass ökologische, ökonomische, soziale und technische Problemlagen miteinander verschränkt sind und zu ihrer Lösung transdisziplinäre, problemorientierte Forschungsansätze gefragt sind.